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Ar/Ge Kunst, Arte Contemporanea, Bart van der Heide, Contemporary Art, Elena Bini, Enrico Sirello, Eugenio Miccini, Fondazione Antonio Dalle Nogare, Francesca Verga, Frida Carazzato, Gruppo '70, Lamberto Pignotti, Lucia Marcucci, Mart, Museion, Paolo della Grazia, Poesia Visiva, Visual Poetry, Zasha Colah
In der Museion Passage wird anlässlich des 90. Geburtstags von Lucia Marcucci, einer führenden Vertreterin der visuellen Poesie in Italien, die Ausstellung Poesie e no gezeigt. Werke der Künstlerin befinden sich unter anderem in der Sammlung des Archivio di Nuova Scrittura, das Paolo della Grazia dem Museion und dem Museum Mart 2020 als Schenkung übergeben hat. Bei der Museion Passage handelt es sich um einen kostenfrei zugänglichen Raum für die Präsentation von Sammlungswerken, der die Verbindung zur Region stärken soll.
Die Ausstellung beleuchtet Marcuccis künstlerische Forschung und Experimente der 1960er- und 1970er-Jahren anhand ihrer Werke ebenso wie zahlreicher theoretischer und poetischer Schriften. Die Arbeiten stammen aus dem Mart, dem Privatarchiv der Künstlerin sowie dem Archivio di Nuova Scrittura, das Teil der Museumssammlung ist. Der Fokus auf Lucia Marcucci fügt sich in die kontinuierlich vom Museion unternommene Forschung zu den Künstler*innen seiner Sammlung ein: Dazu gehört auch, die gegenwärtige Relevanz ihrer Werke sowie die verschiedenen durch sie begründeten künstlerischen und interdisziplinären Verbindungen aufzuzeigen.
Marcuccis Werke erzählen vom Italien der Nachkriegszeit, von einer Gesellschaft, die von wirtschaftlichem Aufschwung, sozialer und politischer Neuordnung sowie gegen Ende der 1960er-Jahre zudem von Studierendenprotesten und dem Aufkommen feministischer Bewegungen geprägt war. In diesem Klima fanden viele Künstler*innen unter dem Einsatz neuer Techniken zu unkonventionellen Ausdrucksweisen und begründeten innovative Formen von Interdisziplinarität, die sich auch in den Werken Marcuccis spiegeln.
Der Titel der Ausstellung – Poesie e no – geht zurück auf eine Aufführung von Gedichten Lamberto Pignottis und Eugenio Miccinis, die erstmals 1963 auf Einladung Lucia Marcuccis hin unter der Regie von Enrico Sirello stattfand. Das Happening wurde in den darauffolgenden Jahren mehrmals wiederholt. Sein Titel soll – ebenso wie jener der aktuellen Ausstellung – deutlich machen, dass Marcuccis künstlerische Praxis stets bestimmt ist von der Begegnung zwischen „hoher“ und „niederer“ Kultur, zwischen literarischer Sprache und jener des durch die Massenmedien vermittelten Alltags. Aus diesem Impetus leitet sich die tragisch-ironische Nebeneinanderstellung von Text und Bild, Malerei und Collage her.

So erscheinen die Bild- und Toncollagen dieser ersten Aufführung von Poesie e no als Hommage an die dadaistisch-futuristische Tradition und ihre Auseinandersetzung mit Sprache durch den Gruppo ‘70 – ein in Florenz gegründetes Künstler*innenkollektiv, dem Lucia Marcucci angehörte – und zugleich als Ausdruck der nicht-linearen Herangehensweise der Künstlerin selbst.
Die Erkundung des geschriebenen Wortes in seinen unterschiedlichen Ausformungen nimmt ihren Ausgang in einer kritischen, protestähnlichen Haltung, die sich mitunter betont militant gibt, stets aber ironisch und frei ist. Diese Merkmale inspirierten auch die von dem Grafikstudio Bruno aus Venedig besorgte Ausstellungsgestaltung.
Die im Piccolo Museion – Cubo Garutti zu sehenden Arbeiten Marcuccis ordnen sich hingegen in eine jüngere Werkphase ein. Sie zeigen ikonische Bilder der Kunstgeschichte, wie etwa Botticellis Venus oder Leonardos Mona Lisa, die auf große Leinwände gedruckt und durch malerische, mit ihrer Aneignung durch die Massenkultur spielende Interventionen erweitert wurden.
Parallel zu der Ausstellung im Museion präsentiert zudem die Ar/Ge Kunst in Bozen die von Francesca Verga und Zasha Colah kuratierte Schau L’Offesa.
Beide Einzelpräsentationen der Künstlerin kreisen um Erfahrungen, die zur Entstehung des Happenings Poesie e no geführt haben. Diese Reihe von Performance zeichnet sich durch eine collageartige Zusammenfügung visueller und sprachlicher Zeichen aus, die beide Einrichtungen nun zum Anlass nehmen, um komplementäre Stränge von Marcuccis Arbeit herauszustellen. Diese ist zum einen geprägt durch die im Museion thematisierte und in einer Kritik an der Konsumgesellschaft wurzelnde Untersuchung von Sprache und zum anderen durch die Gegenwart von Wort und Körper im Aktivismus, die in der Ar/Ge Kunst eine Neudeutung durch Stimmen der Gegenwart erfährt.
Aus Anlass der beiden Ausstellungen hat die Fakultät für Design und Künste der Freien Universität Bozen den Workshop für visuelle Kommunikation „Grafikdesign für Ausstellungen: Prozesse kultureller Praxis“ (Dozentin und Workshopleiterin Elisa Pasqual zusammen mit Gianluca Camillini und Gerhard Glüher) abgehalten. Hierbei wurden sieben Kommunikationsprojekte entwickelt, die Themen im Werk Lucia Marcuccis und des Gruppo ‘70 aus einer heutigen Perspektive aufgreifen. Die Workshop-Ausstellung wird am 9. Juni um 18 Uhr in der Freien Universität Bozen (Universitätsplatz 1) eröffnet und kann auch am Samstag, den 10. Juni, besucht werden.
Der Fokus auf Marcuccis Werk wird zudem ergänzt durch die Ausstellung Re-Materialisierung der Sprache in der Fondazione Antonio Dalle Nogare, in der auch einige Werke der Künstlerin zu sehen sind. In diesem Rahmen findet am 09.06. um 20 Uhr ein Vortrag der Künstlerin Nora Turato statt.
BEGLEITPROGRAMM:
– 13.07. 19.00 Uhr Führung in italienischer Sprache durch beide Ausstellungen gemeinsam mit den Kuratorinnen des Museion und der Ar/Ge Kunst
– 24.08. 17.00 – 19.00 Uhr Museion Ink – Session zum kreativen Schreiben: Anlässlich der Ausstellung Lucia Marcucci. Poseie e no unternimmt Museion Ink eine Reise ins experimentelle Schreiben und gibt den Teilnehmer*innen Gelegenheit, ihre Erfahrung der Welt festzuhalten.
Mit Roberta Pedrini. Anmeldung erforderlich unter eventbrite.it/museion oder 0471223435/13
Lucia Marcucci
Lucia Marcucci wurde 1933 in Florenz geboren, wo sie heute noch lebt und arbeitet. Gegen Ende der 1950er-Jahre begann sie, sich der Poesie unter Verwendung der Collagetechnik zu widmen. In den 1960er-Jahren wurde sie Mitglied des aus Eugenio Miccini, Luciano Ori, Lamberto Pignotti, Antonio Bueno bestehenden Gruppo ’70, dem sich bei einigen Projekten auch Antonio Bueno und Ketty La Rocca anschlossen. Unter Berücksichtigung der Beziehungszusammenhänge zwischen Wort und Bild benutzt Marcucci einen doppelten verbal-visuellen Code und erschafft ebenso provokative wie respektlose Werke. Häufig werden sie noch betont durch pointierte Botschaften aus der Terminologie von Comic-Sprechblasen, die die programmatische Linie des Gruppo ‘70 in origineller Weise variieren. Dieser löste sich Ende 1968 auf, und Lucia Marcucci begründete zusammen mit weiteren visuellen Dichter*innen den Gruppo Internazionale di Poesia Visiva. Daraufhin setzte sie ihre künstlerischen Experimente fort, entwickelte aber eigenständigere und unabhängigere Themen. In ihrem Schaffen der letzten Jahre bedient sich Marcucci der Collagetechnik ebenso wie digitaler Inhalte und Werbebilder und bearbeitet Plakate, die die städtischen Randbereiche tapezieren.
Museion Passage
In dem von einer multidisziplinären Arbeitsgruppe kuratierten Raum werden Werke aus der Museumssammlung kostenfrei und unabhängig von den laufenden Ausstellungen gezeigt. Ursprünglich war die Passage als Durchgang zwischen dem historischen und dem modernen Teil der Stadt konzipiert und nutzt diesen baulichen Aspekt nun als Metapher, um einen bewussten Dialog zwischen Generationen, Praktiker*innen und Gemeinschaften anzuregen. Die Museion Passage liest die Sammlung als ein Archiv unerzählter Geschichten und als Brücke zur Gegenwart. Daher wird die Auswahl der Werke bestimmt durch Themen und Ereignisse, die unsere aktive und vielfältige Kulturlandschaft heute beeinflussen.
Cubo Garutti
„In diesem kleinen Raum werden Werke aus dem Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Bozen ausgestellt, damit die Bewohner*innen dieses Stadtteils sie vor Ort sehen können. Der von der Autonomen Provinz Bozen – Südtirol – Italienische Kultur in Auftrag gegebene Raum ist all jenen gewidmet, die hier vorbeikommen und einen Blick darauf werfen, und sei es nur für einen Augenblick.“ Alberto Garutti.
Das im Jahr 2003 aufgestellte Piccolo Museion wurde von dem Künstler Alberto Garutti gestaltet und dient als Zweigstelle des Museion im Bozner Stadtviertel Don Bosco. Neben Werken aus der Museumssammlung werden in ihm auch eigens für den Stadtteil erarbeitete Projekte ausgestellt.
Der Cubo Garutti befindet sich in der Sassaristraße 17b – Bozen.
Kuratiert von Frida Carazzato
Direktor: Bart van der Heide
Verantwortliche Bereich Organisation Sammlung/Archiv: Elena Bini
Museion, Bozen 09.06.2023 – 03.09.2023
© Alle Rechte vorbehalten

Museion Passage – a freely accessible space dedicated to enhancing the museum’s collection and its links with the local territory – will host Poesie e no, an exhibition that marks the 90th birthday of Italy’s leading exponent of Visual Poetry, Lucia Marcucci. The artist’s work is included in the Archivio di Nuova Scrittura, a collection donated to Museion and the Mart museum by Paolo della Grazia in 2020.
The exhibition highlights Marcucci’s artistic research and experimentation in the 1960s and 1970s, through both her works and numerous theoretical and poetic writings. The works come from the Mart, the artist’s private archive, and from the Archivio di Nuova Scrittura part of the museum collection. Museion’s focus on this figure is part of its ongoing research into the works and artists in its collection: This includes underlining the contemporary nature of their art and the different artistic and interdisciplinary connections they create.
Marcucci’s works speak about post-World War II Italy. A society characterized by an economic boom, social and political reorganization and, towards the end of the 1960s, also by student protests and feminist movements. In this climate, many artists chose to express themselves in unconventional ways with new techniques and by creating a new definition of interdisciplinarity that can be seen in the artist’s works too.
The title of the exhibition, Poesie e no, derives from a poem-show of Lamberto Pignotti and Eugenio Miccini first presented in 1963 at the invitation of Lucia Marcucci, under the direction of Enrico Sirello. The presentation was then repeated several times in the following years, with the participation of the artis herself. The title, like the entire exhibition, is intended to emphasize how Marcucci’s artistic practice has always been characterized by the encounter between ‘high’ and ‘low’ culture and between literary language and everyday life expressed through the mass media. This is the reason for its tragic but ironic combination of text and image, painting and collage.

The visual and sound collage of the first performance of Poesie e no appears, on one hand, to be a tribute to the Dada and Futurist tradition of research into language, carried out by Gruppo 70 – an artistic collective established in Florence, of which Lucia Marcucci was a member – and on the other, an expression of the artist’s non-linear approach to art.
The exploration of written word in its various declinations starts from a critical, protest-like attitude that is sometimes markedly militant, but always ironic and free. These characteristics also inspire the exhibition layout, curated by the Bruno graphics studio in Venice.
The works by Marcucci exhibited at the Piccolo Museion – Cubo Garutti, on the other hand, are located in a temporal parenthesis closer to the present day. These are iconic images from the history of art, such as Botticelli’s Venus or Leonardo’s Mona Lisa, printed on large canvases enriched by pictorial interventions that play with the images and extend their expropriation by mass culture.
The Museion exhibition runs parallel to the exhibition L’Offesa at Ar/Ge Kunst, Bozen/Bolzano, curated by Francesca Verga and Zasha Colah.
The two solo shows gravitate around the experience that gave rise to the Poesie e no happening. The collage of visual and linguistic signs that characterizes this series of performances allows the two institutions to develop complementary strands of Marcucci’s work. On one hand, there is the investigation of language, starting with the critique of consumer society on display at Museion, and on the other, the presence of the verb and body in militancy, through an interpretation, featuring contemporary voices in the exhibition at Ar/Ge Kunst.
On the occasion of the two exhibitions, the Faculty of Design and Art at the Free University of Bozen-Bolzano held the visual communication workshop “Exhibition Graphic Design: processes of cultural practice” (lecturer and workshop leader Elisa Pasqual, with Gianluca Camillini and Gerhard Glüher). During the workshop, seven communication projects were developed that interpret themes present in the work of Lucia Marcucci and the ’70s Group through a contemporary perspective. The workshop exhibition will open on 9th June at 6 p.m. at the Free University of Bozen-Bolzano (University Square 1) and can also be visited on Saturday 10th June.
This focus on Marcucci’s work is complemented by the exhibition Ri-Materialisation of Language at the Fondazione Antonio dalle Nogare, which hosts some of her works. On 09.06. at 20 there will be a talk by the artist Nora Turato inside this exhibition.
COLLATERAL PROGRAM:
– 13.07 h 7.00 pm guided tour in Italian of the two exhibitions with the curators of Museion and Ar/Ge Kunst. Subscription required on eventbrite.it/museion
– 24.08 h 5.00-7.00 pm Museion Ink – Creative writing session: To mark the exhibition Lucia Marcucci. Poseie e no, Museion Ink. is embarking on a journey into experimental writing to document the participants’ experience of the world.
With Roberta Pedrini. Subscription required on eventbrite.it/museion or 0471223435/13
Lucia Marcucci
Lucia Marcucci was born in 1933 in Florence, where she still lives and works today. Towards the end of the 1950s, she began to devote herself to poetry through the technique of collage. During the 1960s, she became part of the Gruppo ’70 composed of her, Eugenio Miccini, Luciano Ori, Lamberto Pignotti, and for some collaborations also of Antonio Bueno and Ketty La Rocca. The double verbal-visual code is used by Marcucci according to a cohesion between word and image with a provocative and desecrating result, often underlined by unscrupulous messages taken from the terminology of comic balloons, which constitute an original version of the programmatic lines of the Gruppo ’70. This disbanded at the end of 1968 and Lucia Marcucci, together with other visual poets, founded the Gruppo Internazionale di Poesia Visiva. From this moment on, she continued her artistic experimentation, developing more autonomous and independent themes. In the production of recent years, Marcucci uses the collage technique and digital as well as advertising images, manipulating the posters that paper the outskirts of cities.
Museion Passage
Passage is a space curated by a multidisciplinary working group that presents works from the museum collection, free of charge and independently of the other exhibitions on display. Originally conceived as a passage between the historic and modern parts of the city, Museion Passage uses this aspect of the building as a metaphor to prompt an informed dialogue between generations, practitioners and communities. The space sees the collection as an archive of unnarrated stories and bridges to the modern world. In fact, the topics and events that impact today’s active and multi-disciplinary cultural landscape will influence which works are selected.
Cubo Garutti
“In this small room, works from the Bolzano Museum of Modern and Contemporary Art will be exhibited so that the citizens of this district can see them. This work, desired by the Autonomous Province of Bolzano – Alto Adige Italian Culture, is dedicated to all those who pass by here, and stop to take a look, even for just a moment.” Alberto Garutti.
Built in 2003, Piccolo Museion is a work by the artist Alberto Garutti. It is a detached branch of Museion in Bolzano’s Don Bosco district, where every year, in addition to exhibiting works from Museion’s collection, it also hosts projects conceived specifically for the district.
The Garutti Cube is located in Via Sassari 17b – Bolzano.
Curated by Frida Carazzato
Director: Bart van der Heide
Head of organisation collection/archives: Elena Bini
Museion, Bolzano/Bozen 09.06.2023 – 03.09.2023
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